Die Magersucht (Anorexia nervosa) ist eine psychische Störung, die den Essstörungen zugeordnet wird. Die Erkrankung tritt vor allem bei Mädchen im Teenager-Alter auf.
Was ist Magersucht?
Die Magersucht gehört zu den psychischen Erkrankungen. Die seelisch bedingte Essstörung geht mit einem starken Gewichtsverlust einher, den die Betroffenen selbst herbeiführen. Durch die Mangelernährung können schwere körperliche Schäden entstehen, die im Ernstfall auch lebensbedrohlich sein können. Auch Entwicklungsstörungen treten im Rahmen der Magersucht häufig auf. Grundsätzlich kann bei der Anorexia nervosa zwischen einer restriktiven Form und dem Purging-Typus unterschieden werden. Beim restriktiven Typus verringern die Betroffenen lediglich die Nahrungsaufnahme, während Patienten vom Purging-Typus versuchen, ihr Gewicht durch zusätzliches Erbrechen zu reduzieren.
Erstmals wurde die Magersucht im Jahr 1868 von dem Engländer William Gull beschrieben. Schon damals betonte der Mediziner die psychogenen Ursachen der Erkrankung. Heute leiden geschätzt 0,7 Prozent der weiblichen Teenager unter Anorexia nervosa. Die Erkrankung tritt aber nicht nur bei Teenagern, sondern auch bei Erwachsenen oder sogar bei Kindern auf. In den letzten Jahren nimmt zudem die Anzahl der männlichen Betroffenen zu. Bisher ist allerdings noch nicht klar, ob tatsächlich mehr Männer erkranken als früher oder ob nur mehr Männer bzw. Eltern mit ihren Söhnen die entsprechenden Hilfsangebote wahrnehmen. Die Magersucht ist eine Erkrankung mit einer hohen Dunkelziffer, sodass Schätzungen zufolge bis zu 1,1 Prozent aller Frauen und 0,3 Prozent aller Männer zwischen 18 bis 79 Jahren unter Magersucht leiden.
Magersucht – Ursachen
Experten gehen davon aus, dass die Magersucht verschiedene Ursachen hat. Unter anderem spielen psychologische, gesellschaftliche, genetische und biologische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung der Erkrankung. Die Magersucht beginnt häufig in der Pubertät, also in einer Phase, die große hormonelle, physische und seelische Veränderungen mit sich bringt. Psychologen vermuten, dass die Erkrankung Ausdruck einer Hilflosigkeit angesichts dieser Veränderungen ist.
Psychoanalytiker sehen in der Magersucht hingegen die Weigerung, sich vom Kind zum Erwachsenen zu entwickeln. Systemische Therapeuten suchen den möglichen Auslöser der Magersucht eher innerhalb der Familie. In den meisten Fällen stammen Patienten mit Magersucht aus unauffälligen, bürgerlichen Familien. Oft leiden die Kinder und Jugendlichen jedoch unter einem hohen Leistungsdruck, der von den Eltern aufgebaut wird. Eine geringe emotionale Unterstützung und Wertschätzung, hohe Erwartungen und wenig aufrechter Kontakt scheinen ebenfalls eine bedeutende Rolle zu spielen. Viele Psychologen sehen zudem in der sogenannten Vermaschung einen großen Risikofaktor für die Entwicklung einer Essstörung. Bei Familien mit einem hohen Grad an Vermaschung werden Autonomie und Selbstverwirklichungsbestrebungen der Kinder abgewehrt, sodass eine freie Persönlichkeitsentwicklung kaum möglich ist. Aufgrund dieser Einschränkungen suchen sich die Betroffenen einen Weg, um wieder Macht über sich selber zu bekommen. Diese Macht erhalten sie durch die Kontrolle der eigenen Essgewohnheiten. Auch die Einstellung der Eltern zu Ernährungsthemen und Schönheitsidealen sowie die Essgewohnheiten innerhalb der Familie haben einen Einfluss auf das Essverhalten der Kinder.
Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben Werbung und Medien. Diese vermitteln leicht den Eindruck, dass nur Menschen mit Idealmaßen attraktiv, begehrenswert und erfolgreich sind. Models und andere Prominente haben oft ein unterdurchschnittliches Gewicht und repräsentieren somit ein recht realitätsfernes Schönheitsideal. Jugendliche versuchen über Diäten dieses Schönheitsideal zu erreichen und rutschen so nach und nach in die Essstörung. Auch Sportarten, die ein geringes Körpergewicht voraussetzen, wie beispielsweise Ballett oder Skispringen, erhöhen das Risiko für eine Magersucht.
Anhand von Zwillingsstudien konnte jedoch gezeigt werden, dass nicht nur psychische und gesellschaftliche Faktoren eine Rolle spielen. So haben Verwandte von Magersüchtigen ebenfalls ein deutlich erhöhtes Risiko an Magersucht zu erkranken. Forscher vermuten deshalb, dass verschiedene Gene zu einem erhöhten Erkrankungsrisiko beitragen. Bei der Aufrechterhaltung der Magersucht und eventuell auch bei ihrer Entstehung sind zudem verschiedene Hormone und Neurotransmitter beteiligt. Führend ist hier der Botenstoff Serotonin, der aus der Aminosäure Tryptophan gebildet wird und einen großen Einfluss auf das Sättigungs- und das Hungergefühl hat. Magersüchtige weisen in der Regel einen erhöhten Serotoninspiegel auf, sodass es ihnen leichter fällt, auf Essen zu verzichten.
Magersucht – Symptome
Eine Körperschemastörung ist charakteristisch für die Magersucht. Die Betroffenen erachten sich trotz ihres offensichtlichen Untergewichts als zu dick. Ihr gesamtes Selbstwertgefühl hängt von der Kontrolle über ihr Gewicht ab. In der Folge kreisen die Gedanken von Magersüchtigen immer um ihr Gewicht, die Ernährung und ihr Erscheinungsbild. Durch eine verminderte Nahrungsaufnahme versuchen Patienten mit Magersucht ihr Gewicht zu reduzieren. Insbesondere fettige und hochkalorische Nahrungsmittel werden gemieden.
Der Purging-Typ der Anorexia nervosa ähnelt der Bulimia nervosa. Menschen, die an diesem Typ erkrankt sind, forcieren ihre Gewichtsabnahme durch selbst induziertes Erbrechen oder die Einnahme von Appetitzüglern und Abführmitteln. Auch exzessive körperliche Betätigung ist typisch für diesen Erkrankungstypus. Eine Anorexia nervosa liegt den Diagnosekriterien des ICD-10 zufolge erst dann vor, wenn das tatsächliche Körpergewicht mindestens 15 Prozent unter dem zu erwartenden Gewicht liegt. Alternativ kann die Diagnose Magersucht auch dann gestellt werden, wenn der Body-Mass-Index bei Erwachsenen unter 17,5 liegt.
Die reduzierte Nahrungszufuhr und das Untergewicht haben schwere körperliche Folgen. Herzschlag und Blutdruck der Patienten sind zu niedrig. Schwere Herzrhythmusstörungen können den plötzlichen Herztod zur Folge haben. Diese Herzrhythmusstörungen gehen in der Regel auf Störungen im Elektrolythaushalt zurück. Neben Störungen im Herzrhythmus kann es dadurch auch zu Unterzuckerungen und Anämien kommen.
Die Konzentration der Geschlechtshormone im Blut ist bei Magersüchtigen niedrig. Bei Frauen bleibt dadurch häufig die Regel aus. Bei starkem Untergewicht sind die betroffenen Frauen unfruchtbar. Bei Männern geht der starke Gewichtsverlust mit Libidoverlust und Potenzproblemen einher. Die glukokortikoiden Hormone im Blut sind im Gegensatz zu den Geschlechtshormonen leicht erhöht. Dadurch steigt das Risiko für Osteoporose und Knochenfrakturen. Weitere typische Folgen der Magersucht sind chronische Verstopfungen, Magenkrämpfe, Inkontinenz und Übelkeit.
Rund 15 Prozent aller Erkrankten versterben durch Herzstillstand, Infektionen oder Selbstmord. Bei einem Großteil der überlebenden Patienten bleiben Langzeitschäden wie die Osteoporose oder eine Niereninsuffizienz zurück.
Magersucht – Therapie
Da die Magersucht sowohl körperliche als auch seelische Symptome aufweist, muss die Therapie beide Bereiche abdecken. Die Behandlung der Magersucht erfolgt deshalb zumeist durch ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Ernährungsfachkräften und Psychologen. Im Vordergrund steht zunächst eine Gewichtszunahme, da durch das Untergewicht schwere körperliche Schäden drohen.
Weitere Ziele sind die Veränderung des Essverhaltens und der Aufbau einer gesunden Körperwahrnehmung. Die Behandlung kann zwar auch ambulant durchgeführt werden, bei den meisten Magersüchtigen ist jedoch aufgrund der Schwere der Erkrankung eine stationäre Therapie indiziert. Zu Beginn der Therapie wird das individuelle Zielgewicht festgelegt. Die meisten Kliniken sehen eine Gewichtszunahme von 500 bis 1000 Gramm pro Woche vor. Die Betroffenen müssen den Umgang mit Essen erst wieder erlernen. Dafür besuchen sie Ernährungsberatungen und Kochkurse und erhalten einen individuellen Ernährungsplan. Doch für eine erfolgreiche Therapie sind solche verhaltenstherapeutischen Interventionen oft nicht ausreichend. Ebenso wichtig ist es, die psychischen Ursachen für die Erkrankung zu erforschen. Deshalb sind psychotherapeutische Einzel- und Gruppensitzungen wichtiger Bestandteil der Behandlung. Im Rahmen der Psychotherapie wird auch an einem realistischen Körperbild gearbeitet.
Die multifokale psychodynamische Therapie ist ein recht moderner und erfolgsversprechender Therapieansatz, der bei der Behandlung der Magersucht immer häufiger zum Einsatz kommt. Es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung der Psychoanalyse. Die Therapie wurde genau auf die Bedürfnisse von Patienten mit Anorexia nervosa zugeschnitten und stellt die Arbeit mit den Emotionen der Patienten in den Fokus.
Magersucht – Vorbeugung
Da Essstörungen wie die Magersucht sehr vielschichtig sind, ist es schwer, wirksame Präventionsmaßnahmen zu finden. Eltern, die den Verdacht haben, dass ihr Kind an einer Essstörung leidet, sollten das fehlerhafte Essverhalten jedoch möglichst offen ansprechen. Erhärtet sich der Verdacht, sollten sich die betroffenen Eltern nicht scheuen, ärztliche Beratung und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine frühzeitige Behandlung der Essstörung verbessert die Prognose der Erkrankung und schützt zudem vor Folgeschäden.
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